Quantcast
Channel: Jurakopf » ausbildungsrelevant
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3

Das erschlichene Auto das vielleicht gestohlen wurde

$
0
0

Im heutigen “Fällchen” geht es um einen Klassiker: F ist der angestellte Fahrer des Chefs C. Er holt morgens immer bei dessen Butler B (in der Stadtville das C) den Wagenschlüssel und den Wagen, fährt dann C den Tag über um Abends den Wagen wieder zurück zur Villa zu bringen, wo er den Wagen abstellt und B den Schlüssel aushändigt.

Eines Tages kündigt C dem F fristlos. Dieser bringt noch den Wagen zum B zurück. Am nächsten Tag dann, geht er wieder zum ahnungslosen B und lässt sich von ihm den Schlüssel aushändigen, um sodann mit dem Wagen des C davon zu fahren.

Wie hat sich F strafbahr gemacht?

Analyse

Mein Fällchen dreht sich um die Frage, wie man das Erlangen des Wagens durch den F bewertet: In Frage kommt einerseits ein Betrug, andererseits aber auch ein Diebstahl, letzterer in mittelbarer Täterschaft. Dahinter steht ein Meinungsstreit und die Frage, ob man einen Gewahrsamsburch oder eine Vermögensverfügung sieht.

Lösungsskizze

Hinweis vorab: Ich prüfe zuerst den Diebstahl, da die Feststellung einer Wegnahme automatisch eine Vermögensverfügung ausschliesst. Ausserdem kenne ich natürlich das Ende der Prüfung und prüfe zurest das, was ich ohnehin ablehnen werde ;)

  1. Strafbarkeit des F wegen Diebstahls in mittelbarer Täterschaft, §§242 I, 25 I 2. Alt. StGB
    1. objektiver TB
      1. fremde bewegliche Sache (+)
      2. Wegnahme (?)
        Die Wegnahme ist, das muss sitzen, “der bruch fremden und die begründung neuen Gewahrsams”. Es muss also erst einmal ein Gewahrsamsbruch vorliegen. Anfangs war der Wagen (zumindest) im Gewahrsam des B für den C (gelockerter Gewahrsam des C), am Ende war er im Gewahrsam des F.
        Dass ein (täuschungsbedingter) Gewahrsamswechsel vorliegt ist also offensichtlich, doch muss dies weder automatisch eine Vermögensverfügung noch eine Wegnahme bedeuten.

        Offensichtlich ist, dass der C den Wechsel nicht wollte, doch der B handelte gutgläubig und willentlich. Die Frage ist: Muss sich dies C quasi zurechnen lassen? Hier gibt es einen Meinungsstreit:

        1. Die Rechtsprechung kommt mit der Lagertheorie zum Ergebnis, dass eine Verfügung vorliegt: Hiernach ist darauf abzustellen ob sich die Position des Getäuschten im Verhältnis zum Geschädigten als “in dessen Lager stehend” charakterisieren lässt.
        2. Eine andere Auffassung lässt ein “rein tatsächliches Näheverhältnis” zum Geschädigten ausreichen, was hier ebenfalls zu einer Verfügung führt.
        3. Weitere Auffassungen stellen darauf ab, ob der Getäuschte die rechtliche Befugnis zum handeln hatte (hier: ja, also Verfügung) oder subjektiv zumindest glaubt diese zu haben (hier ebenfalls ja, also Verfügung).
      3. Wegnahme: Ergebnis (-)
        Alle Theorien kommen zum Ergebnis, dass eine Verfügung vorliegt und kein Bruch fremden gewahrsams. Der C muss sich das in der Verfügung konkludent enthaltene Einverständnis seines Butlers B zurechnen lassen, so dass mit dessem Willen der Gewahrsamswechsel statt gefunden hat.
    2. Ergebnis: Objektiver TB -
  2. Strafbarkeit des T wegen Betruges, §263 I StGB
    1. Objektiver TB (+)
      1. Täuschung über Tatsachen (+)
      2. dadurch bedingter Irrtum (+)
      3. hierdurch bedingte Vermögensverfügung (+)
        Die Theorien wurden ja bereits 1.2 durchgenudelt, das Ergebnis (Verfügung) steht fest
      4. durch Verfügung bedingter Vermögensschaden (+)
    2. Subjektiver TB (+)
    3. Rechtswidrigkeit und Schuld (+)
    4. Ergebnis: Strafbarkeit des T wegen Betruges, §263 I StGB +

Anmerkungen

War doch ganz einfach :) Bevor ich noch mehr schreibe, möchte ich etwas aus dem Joecks (Studienkommentar StGB, §242 Rn. 25) zitieren:

Der Studierende, der den Gewahrsamsbegriff im Kern erlernt hat, könnte auf die Idee kommen, sich diese diffizilen Einzelheiten einzuprägen. Dass ihm dies gelingt, ist höchst unwahrscheinlich.

Also nicht verzweifeln, wenn man das nicht auf Anhieb wusste. Die von mir hier gewählte Darstelung ist eine stark vereinfachte Variante des Sammelgaragenfalls, von der es weitere Beispiele gibt, die man kennen sollte um Trickdiebstahl und Dreiecksbetrug auseinanderhalten zu können:

  1. X ruft aus dem Zug dem unbeteiligten Y auf dem Bahnsteig zu “Könnten Sie mir bitte meinen Koffer dort vorne reichen?” und bekommt vom gutgläubigen Y den ihm nicht gehörenden Koffer ausgehändigt. (Gewahrsamsbruch, Diebstahl)
  2. Student S lässt sich (unter der Lüge es wäre seiner) von der Wirtin W den StGB-Kommentar des Studenten T aushändigen, obwohl diese dazu nicht ermächtigt war. (Beispiel nach Joecks, §263 Rn. 60ff – hier spielt der Meinungsstreit von oben eine Rolle, Ergebnis offen, nach h.M. Betrug)
  3. X geht in ein Bekleidungsgeschäft, lässt sich vom Inhaber eine Hose aushändigen um diese angeblich anzuprobieren – zieht diese auch an und verschwindet dann damit unbemerkt (Streitbar, im Regelfall ist Übergabe der Hose nur Gewahrsamslockerung, somit Diebstahl und daher Ausschluss des Betruges.)

Das Thema Trickdiebstahl/Dreiecksbetrug wird bereits in der kleinen Übung relevant sein (zum Ende hin), auf jeden Fall aber in der Zwischenprüfung sowie in den grossen Scheinen. Insofern lohnt es sich immer wieder, das Thema nochmals aufzufrischen. Lesenswert ist auf jeden Fall der Joecks bei den §242 ab Rn. 34 sowie §263 ab Rn. 57.

Sehr schön (und kurz!) aufbereitet ist es im Wessels/Hillenkamp ab Rn. 636, der zusammenfassend dazu unter Rn. 642 zutreffend meint:

Hinernach ist Diebstahl in mittelbarer Täterschaft anzunehmen, wenn der Getäuschte vor der Tat in keinerlei Obhutsbeziehung zu der Sache gestanden hat [...] auf sie vielmehr – ebenso wie der Täter selbst – von außen her zugreifen muss [...]

In der JuS findet sich eine schöne Entwicklung dieser Fälle (die als Klausur gestellt wurde) in JuS 2003 ab Seite 1097.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 3

Latest Images





Latest Images